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Organisierung gegen Wärter-Willkür und die Realität im Knast in Bulgarien

(Text erschienen im Gefangeneninfo, November 2o13)

Im Sommer 2012 gründeten Gefangene und ehemalige Gefangene in Sofia die “Vereinigung der Gefangenen Bulgariens zur Rehabilitierung” (B.P.R.A. – bulgarian prisoners rehabilitation association) und damit eine offizielle Organisation, um “denen eine Stimme zu geben, die in der bulgarischen Gesellschaft bisher komplett ignoriert wurden – die Gefangenen”. Ziel der Vereinigung ist nach eigenen Aussagen vor allem, sich für bessere Bedingungen und gegen den korrupten Staat zu engagieren.

Fraglich ist, ob die Bedingungen in anderen Knastsystemen innerhalb der EU besser sind als in Bulgarien, wie im ersten Statement beschrieben, aber sicher sind die Zustände in den bulgarischen Knästen unerträglich und die Gefangenen stark abhängig von der Gunst der Schließer. Besonders die Leitung der Gefängnisse wird vom Vorsitzenden der B.P.R.A., Jock Palfreeman, der bereits seit nahezu 6 Jahren in Sofia in Haft ist und sich voraussichtlich die nächsten 14 Jahre dort befinden wird, heftig kritisiert. Korruption und menschenverachtende Selbstherrlichkeit der Machthabenden sind in den online verfügbaren Dokumentationen und Berichten der B.P.R.A. ebenso beschrieben wie alltägliche Gewalt und Namen und Geschichten der Betroffenen aus parteilicher Sicht gegen das staatliche Repressionssystem. “Bulgarien ist einer der letzten EU Staaten, in denen es Gefängnisse und Untersuchungshaft-Anstalten ohne fließend Wasser oder Toiletten gibt.”

schreiben sie in ihrer ersten Erklärung ebenso wie: “Die B.P.R.A. solidarisiert sich mit Emil Orlinov Aleksiev. Er ist ein körperbehinderter Gefangener im Zentralgefängnis Sofia, der von einem Wächter brutal mit einem Holzstück geschlagen wurde. Der Kollege Aleksiev war mutig genug, einen Beschwerdebrief zu schreiben, der in die Hände der Wächter und ihrer Kollaborateure geriet. Er leidet seitdem an körperlichen Übergriffen.” Bereits im Dezember wurden Informationen aus erster Hand auf dem Blog der Organisation veröffentlicht, die sonst nicht zu lesen sind: “Florenzo Tandini, ein albanischer Staatsbürger in der 10.Gruppe des Zentralgefängnisses Sofia stritt sich mit einem anderen Gefangenen seiner Zelle. Es gab keine körperliche Auseinandersetzung, als um die 8 Wärter mit Gummiknüppeln in die Zelle rannten und Florenzo Tandid direkt von links mit dem Knüppel ins Gesicht schlugen. Florenzo Tandini versuchte sein Gesicht vor den 8 wiederholt auf ihn einschlagenden Wärtern zu schützen. Alle Schläge gingen Richtung Gesicht und Hinterkopf, wie an den Wunden später festzustellen war. Es gab weder körperlichen noch verbalen Widerstand von Florenzo gegenüber den Wärtern, nicht vor dem Angriff, noch danach.” Danach wird weiter beschrieben, wie der Gefangene weiter mißhandelt wurde. Diese Übergriffe sind kein Einzelfall und besonders häufig gegenüber widerständigen Gefangenen. Die B.P.R.A. sieht einen direkten Zusammenhang zum Direktor des Knastes, der seit seinem Amtsantritt 2009 den Wärtern wieder Gummiknüppel und Waffen bei ihren Routinegängen zugestanden hat und ihnen den Rücken freihält. Seitdem hat die Gewalt der dauerhaft gelangweilt und gewaltbereiten Wärter stark zugenommen. Selbstverständlich gab es solche Vorfälle auch vorher, aber Peter Krestev als Direktor des Zentralgefängnisses Sofia ist besonders desinteressiert daran, Rechtsbrüche und brutale Übergriffe seitens seines Personals öffentlich zu thematisieren oder jemanden zur Rechenschaft zu ziehen. Dies versuchte die B.P.R.A. mit öffentlichen Briefen und Einreichungen bei der europäischen Kommission zu skandalisieren.

Nachdem es Ende 2011 zu massiven sexualisierten Übergriffen im Zentralgefängnis Sofia gegen mindestens 10 junge Gefangene durch Wärter kommt, unternimmt die Leitungsebene des Knastes nichts. Keine Maßnahmen gegen die Täter, keine Aufarbeitung der Geschehnisse durch die Gefängnisleitung, kein Kommentar von den zuständigen Inspektor_innen. Zur Blindheit und scheinbaren Unwissenheit der verantwortlichen internen Inspektionen schreibt die Organisation: “Wie so häufig im bulgarischen “Rechts”system scheint es, als ob es nicht darauf ankommt, ob jemand Ahnung hat, sondern wer zu wem welche Beziehungen hat.” Seit dem Frühjahr 2013 wird immer wieder von besonders umfangreichen Exzessen der Gewalt im Gefängnis berichtet. Die zuständige Firma “Zatvorno Delo” (Gefängnis-Arbeit), die das Essen für die Gefangenen liefert unterschlägt Anteile der Rationen, um sie extern zu verkaufen. Im Januar wird von Asen Rusev Manef berichtet, der sich laut offiziellen Angaben in seiner Zelle selbst erhängt habe. Er wurde zuvor schwer mißhandelt und die Version des Selbstmordes bleibt offen. Im Januar wurde auch der Bericht des “Europäischen Komitees zur Prävention gegen Folter und unmenschlichen Bedingungen” ihres anlassbezogenen Besuches Anfang 2012 veröffentlicht, in dem sie weiterhin die überfüllten und schlecht ausgestatteten Gefängnisse insbesondere in Varna und Burgas thematisierten und auch die alltägliche Korruption und Gewalt durch Wärter allgemein kritisierten.

Im Frühjahr 2013 kam es zu mehreren größeren Übergriffen, so wurde Mitte Januar dem Bulgaren Martin Pekov der Arm ausgekugelt, da er verdächtigt wurde, ein Mobiltelefon zu besitzen. Als der iranische Staatsbürger Mohammad Bigam sich einmischte, um den berüchtigten Wärter Mitko Spasov zu beruhigen, wurde er ebenfalls zusammengeschlagen. In diesem Zusammenhang wurde ein weiterer anwesender Gefangener von Spasov gezwungen, eine Falschaussage zu unterschreiben, um die Betroffen als Täter darzustellen. Im März wurde Yanko Vatashki in Isolation verlegt, da er eine Beschwerde gegen den Leiter des Zentralgefängnisses Sofia vorgelegt hatte und den Gefangenen in Gesamtheit vorgehalten, sie hätten vor, sich aufständisch zu verhalten, um die einhergehenden Sanktionen zu rechtfertigen. Mitte März wurde ein Tschetschene durch einen Wärter mißhandelt. Als Mitgefangene eine Beschwerde einreichten, nahm die Gefängnisleitung die Aktivitäten der legalen und registrierten B.P.R.A. stärker in den Fokus und versuchte zu unterbinden, dass Gefangene sich überhaupt äußern können. Im Vorlauf der Wahlen in Bulgarien im Mai 2013 versuchte die Organisation, politische Parteien für ihre Belange zu interessieren. Keine Einzige von ihnen reagierte auf die Anschreiben. Dabei werden Personen und Mißstände sehr konkret benannt. Die Nachrichten aus erster Hand aus dem Knast macht den Tätern im System Angst und Sorge, nicht weiterhin ohne Öffentlichkeit agieren zu können, wie es ihnen beliebt. Daher ist die Organisation und auch der Blog sowie Kontakte nach außen und zu anderen Gefangenenorganisationen sehr wichtig, um das alltägliche Leben der Menschen hinter Gittern zu verbessern und Gefängnisse als solche anzugreifen.

Auf dem Blog werden sowohl nützliche Informationen für Gefangene und Angehörige aus Sicht der B.P.R.A. als auch rechtlich relevante Texte zur Verfügung gestellt (http://bulgarianprisonersassociation.wordpress.com/help/)

Ein Artikel von Jock auf dem Blog beschreibt auch die rechtliche Stellung von Flüchtlingen und Migrant_innen sowie die gängige Praxis in Bulgarien. Entgegen den Gesetzesgrundlagen werden viele von ihnen einfach weggesperrt und nicht über ihre Rechte informiert. Gerade jetzt, wo in Syrien Krieg ist, füllen viele Menschen aus dieser Region die bulgarischen Knäste. Ohnehin finden sich auf dem aktuellen Blog viele politische Stellungnahmen zu aktuellen Geschehnissen, die auch Gefangene betreffen und die aus dem Knast heraus geschrieben und veröffentlicht werden.

Damit die Organisation weiter Bestand hat, braucht sie Unterstützung sowohl durch Öffentlichkeit und Solidarität, als auch durch Geld. Leider gibt es (noch) kein Konto, aber andere Kontaktmöglichkeiten.

Bulgarian Prisoners`Rehabilitation Association
PO BOX 485
Sofia 1000 , Bulgaria

e-mail: bulgarianprisonersassociation@lists.riseup.net

web: http://bulgarianprisonersassociation.wordpress.com

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