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Kiew: Stellungnahme der AWU (Autonome ArbeiterInnen Union) zur Situation in der Ukraine

Gestern (18.2.2014) begann der Bürgerkrieg in der Ukraine. In der Nähe der Werchowna Rada (Parlament) stieß eine nicht ganz so friedliche Demonstration mit staatlichen Verteidigungskräften und Einheiten zusammen, die sich aus AnhängerInnen der gegenwärtigen Regierung rekrutierten. Am 18. Februar richtete die Polizei, zusammen mit Paramilitärs ein Blutbad an, in dem zahlreiche DemonstrantInnen getötet wurden. Schlächter der Spezialeinheiten erledigten Verhaftete. VertreterInnen der regierenden Partei der Regionen und ihre bürgerlichen Lakaien von der „Kommunistischen“ Partei der Ukraine flohen durch einen unterirdischen Tunnel aus dem Parlament. Nach all dem fand die Wahl für eine Verfassungsänderung zur Beschränkung der präsidentiellen Macht nicht mehr statt. Nach ihrer Niederlage im Regierungsviertel zogen sich die DemonstrantInnen auf den Maidan zurück. Um 18 Uhr verkündeten das Innenministerium und der Geheimdienst (SBU) den Protestierenden ein Ultimatum und forderte sie zum Rückzug auf. Um 20 Uhr begannen mit Wasserwerfern und gepanzerten Fahrzeugen ausgerüstete Spezialkräfte der Polizei und Paramilitärs ihren Angriff auf die Barrikaden. Die Spezialeinheiten des SBU und auch regierungsfreundliche Schützen setzten ihre Schusswaffen ein. Die Protestierenden schafften es dennoch eines der gepanzerten Fahrzeuge nieder zu brennen und es stellte sich heraus, dass nicht nur die Regierungskräfte Waffen besitzen. Laut am 19. Februar um 16 Uhr veröffentlichten Polizeiangaben wurden 24 Personen getötet. 14 auf Seiten der Protestierenden und 10 Polizisten. 31 Polizisten wurden durch Schüsse verletzt. Selbst wenn die genannte Zahl getöteter und verletzter Polizisten stimmen sollte, ist sie auf Seiten der Opfer zu niedrig angesetzt. Die Sanitäter vom Maidan sprechen von mindestens 30 Getöteten.

Man erhält den Eindruck, dass der Präsident Janukowitsch sich sicher gewesen ist, dass der Widerstand zum Morgen hin gebrochen sein würde und so arrangierte er am 19. Februar um 11 Uhr ein Treffen mit den Oppositionsführern. Weil diese Verhandlungen nicht stattfanden, können wir schlussfolgern, dass der Regierungsplan fehlgeschlagen ist. Während der gescheiterten Operation den Maidan zu räumen, besetzten die BürgerInnen verschiedener westlicher Regionen Regierungsgebäude und verjagten die Polizei. Laut der SBU erbeuteten zum Zeitpunkt als die Polizei als Institution in L’viv. nicht mehr existierte, 1500 Schusswaffen. In weniger als 24 Stunden verlor die Zentralregierung die Kontrolle über einen Teil des Landes. Jetzt könnte die einzige Lösung der Rücktritt des Präsidenten sein, allerdings würde das bedeuten, dass er, seine Familie und ihre zahlreichen Gefolgsleute und Abhängigen, die eine größere Gruppe in der Regierung bilden, die Quelle ihres Profits verlieren würden. Vermutlich werden sie das nicht akzeptieren.

Für den Fall, dass Janukowitsch siegt, wird er zum Herrscher auf Lebenszeit werden und der Rest zu einem Leben verdammt sein, in dem sie mit Armut, Korruption und der Abschaffung ihrer Rechte und Freiheiten konfrontiert sind. Rebellische Regionen erleben jetzt die massive Wiederherstellung der “verfassungsmäßigen Ordnung”. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Unterdrückung solcher “terroristischer Gruppen” in Galicien den Charakter von ethnischen Säuberungen haben wird. Die verrückten orthodoxen Radikalen von der Partei der Regionen sehen in den konservativen griechischen Katholiken seit langem die Gehilfen des “Eurosodom”. Solch eine “antiterroristische” Operation würde mithilfe der Armee, wie der Verteidigungsminister Lebedev bereits angekündigt hat, durchgeführt werden.

Die Ukraine erlebt heute eine Tragödie aber der wahre Horror wird beginnen, wenn die Regierung die Opposition zerschlägt und die Situation “stabilisiert”. Seit Anfang Februar, als Strafverfahren gegen die Maidan Selbstverteidigungseinheiten wegen Bildung illegaler Militäreinheiten eröffnet wurden, wurden Anzeichen für die Vorbereitung einer Massensäuberungoperation sichtbar. Laut Artikel 260 des Strafgesetzbuchs, können gegen Mitglieder solcher Einheiten Gefängnisstrafen von 2 bis 15 Jahren verhängt werden. Das bedeutet, dass die Regierung vorhat, über zehntausend BürgerInnen hinter Gitter zu sperren. In den Regionen aber auch in der Hauptstadt agieren spezielle “Todesdivisionen” als Ergänzung zu den herkömmlichen Polizeieinheiten. Die Verantwortung für die lebendige Verbrennung eines Maidan Aktivisten aus Zaporozhye wurde zum Beispiel von solch einer “Todesdivision”, die sich selbst “Sebastopol Geister” nennt, übernommen. Sie kündigten an, dass sie dazu bereit sind, Maidan TeilnehmerInnen im Osten einer ähnlichen Behandlung zu unterziehen.

Für den Fall, dass die Opposition siegt, würde das Leben auch alles andere als perfekt sein. Trotzdem Faschisten eine Minderheit unter den Protestierenden bilden, sind sie ziemlich aktiv und nicht die schärfsten Werkzeuge im Schuppen. Ein paar Tage des Waffenstillstands Mitte Februar führten zu Konflikten unter den rechten Gruppen und mündeten in mehreren sinnlosen und gewalttätigen Konfrontationen, sowie in Angriffen auf ideologische “Abweichler”. Neben den Faschisten werden auch alte und erfahrene Oppositionelle versuchen, die Macht zu ergreifen. Unter ihnen gibt es viele, die bereits Erfahrungen damit haben, in einer Regierung mitzuarbeiten. Korruption, Vetternwirtschaft und der Gebrauch von Haushaltsmitteln für persönliche Belange sind ihnen nicht fremd. Die “Zugeständnisse”, die die Opposition jetzt im Parlament fordert, sind erbärmlich. Selbst die Verfassung von 2004, die sie wiederherzustellen versucht, gibt dem Präsidenten zu viel Macht (Kontrolle über die Antiriot-Polizei und Spezialeinheiten als ein Beispiel) und das anteilige Wahlsystem mit geschlossenen Listen liefert das Parlament an die Kontrolle einer Gruppe von Diktator-ähnlichen Oberhäuptern aus, die an einer Hand abzählbar sind. Zusammen mit dem Präsidenten werden sie ungehindert regieren.

Ihre zweite Forderung, die Ernennung eines von der Opposition zusammengestellten Ministerkabinetts, ist ganz und gar beschämend. Riskieren die Menschen ihre Gesundheit, Freiheit und ihr Leben etwa, zugunsten von jemand, damit der Premierminister wird und damit jemand anderes eine Möglichkeit erhält, den Fluss der Korruptionsgelder zu kontrollieren? Das ist das logische Ergebnis, wenn Pathos bevorzugt wird, Reden von „der Nation“ beherrscht werden und auf vertikale, den gleichen verhassten Politikern angebundene Strukturen fokussiert wird. Anstatt von Grund auf Organisationen rund um finanzielle und materielle Interessen zu entwickeln. Das ist die wichtigste Lektion, die der Maidan noch zu lernen hat.

Allerdings werden wir diese Lektion der Praxis erst erfahren, wenn die jetzige Regierung den Kampf verliert. Die Opposition inner- und außerhalb des Parlaments ist in zahlreiche feindliche und konkurrierende Fraktionen zersplittert. Wenn sie gewinnt, wird sich das daraus ergebende Regime instabil und von Zusammenhanglosigkeit geprägt sein. Es wird so bürgerlich und repressiv sein, wie die Partei der Regionen vor ihrer ersten Machtdemonstration gegen die Protestierenden im November. Die Schuld für das vergossene Blut trägt zum Teil die EU, die gerne das Geld von den korrupten Drecksäcken in der Ukraine , Russland und etlichen afrikanischen Staaten entgegennimmt, während sie emsig versäumt die Quellen solcher „Investitionen“ zu prüfen. Erst nachdem die toten Körper der Opfer solcher „Investoren“ gesehen wurden, wurde sie so sentimental und voll von humanitärem Pathos.

Es ist nicht unser Krieg, aber der Sieg der Regierung wird die Niederlage der ArbeiterInnen bedeuten. Auch der Sieg der Opposition verspricht nichts Gutes. Wir können das Proletariat nicht dazu aufrufen, sich selbst für die Opposition und ihre Interessen zu opfern. Wir glauben, dass der Grad der Mitwirkung in diesem Konflikt Gegenstand einer persönlichen Entscheidung ist. Wir ermutigen jedoch alle, mit allen Mitteln die Aktionen der Regierung zu sabotieren und es zu verhindern, sich in den Dienst der von Janukowitsch kontrollierten Militärkräfte des Inneren einziehen zu lassen.

Keine Götter, Keine Herrscher, Keine Nationen, Keine Grenzen!

AWU Kiew (Autonome ArbeiterInnen Union)

Quelle: http://de.contrainfo.espiv.net/2014/02/23/kiew-stellungnahme-der-awu-autonome-arbeiterinnen-union-zur-situation-in-der-ukraine/

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