Da morgen eine größere Anti-Atom Demonstration zum 25.Jahrestag der Tschernobyl Katastrophe stattfindet, haben wir einen Flyer mit Teilen eines Interviews zur Situation in Belarus entworfen:
“In der ehemaligen Sowjetrepublik Belarus / Weißrussland wird zur Zeit an einem ersten Atomkraftwerk im Nordwesten des Landes gearbeitet. Beschlossen wurde der Bau durch den Despoten Lukaschenko bereits vor einigen Jahren. Seit dem März 2011, wenige Tage nach Fukushima feierlich verabschiedet, steht auch der offizielle Beschluss zur Finanzierung des auf Export ausgelegten Dinosaurierprojektes, maßgeblich durch die Russische Regierung realisiert.
(vgl. http://www.russland.ru/mainmore.php?tpl=Tschernobyl&iditem=79)
Von der Tschernobyl Katastrophe vor 25 Jahren war das Land am stärksten betroffen, die zahlreichen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden für die Menschen der Region nahe der Ukrainischen Grenze werden noch Generationen begleiten. Der öffentliche Widerstand ist dennoch gering, obwohl kaum jemand den Lügen der Herrschenden glaubt. Doch Organisierung ist in Belarus eine gefährliche Angelegenheit, wie die vielen politischen Gefangenen und die Morde an Journalist*innen zeigen
(vgl. http://www.amnesty.de/laenderbericht/belarus ). Zwei Links zu belarussischen Anti-Atom Initiativen: http://belarusantiatom.info/ und http://mirnyatom.net/
Im Zuge einer Infotour belarussischer anarchistischer Aktivist*innen zu den jüngsten Repressionen im Zusammenhang mit den Wahlen im Dezember 2010 haben wir im März 2011 ein Interview geführt, in dem auch der Neubau des AKW Thema war.
Im Folgenden nun ein Ausschnitt aus dem Interview mit A und B:
Ok, unsere nächste Frage richtet sich auf ein besonders aktuelles Thema, nämlich der Plan Lukaschenkos, ein erstes Atomkraftwerk im von der Tschernobyl Katastrophe so stark geprägten Land zu bauen. Unsere Frage ist, inwieweit eine Art von sozialer Bewegung gegen dieses Atomkraftwerk existiert, vor allem vor dem Hintergrund der Ereignisse in Japan und der Geschichte mit Tschernobyl, was sagt ihr hierzu?
A: Es ist schon schwierig, darüber zu reden, da wir seit der Katastrophe in Japan nicht mehr im Land waren, daher können wir nicht genau sagen, wie es gerade jetzt ist, aber die gesamte Propaganda-Maschinerie des Landes arbeitet intensiv daran, Menschen glauben zu machen, dass das Atomkraftwerk in Belarus das sicherste und beste der Welt sein wird, bla bla bla. Die Menschen nehmen dies durchaus auch für bare Münze und denken, vielleicht ist es tatsächlich so und auch die Menschen in der Regierung glauben ernsthaft es sei eine gute Idee, um beispielsweise auch ökonomisch unabhängiger zu sein. Tatsächlich ist es ziemlich still um diese Frage in der Gesellschaft, es gibt nur eine sehr kleine Bewegung gegen den Bau des Atomkraftwerks.
B: Ich denke, dass das Thema Tschernobyl und Umweltpolitik generell in Belarus mit den Jahren an Einfluss verloren haben. Es ist viele Jahre her, die Menschen trauern zwar immer noch um die Opfer, aber sie bringen es nicht in Zusammenhang mit dem neuen Kraftwerk. Ich denke die Menschen sehen das Problem nicht, sie denken, das neue Kraftwerk wird gut und sicher.
Wie kann denn die internationale Solidarität mit anarchistischen Gruppen in Belarus aussehen. Soweit wir informiert sind, beginnt der Bau doch bald, oder?
B: Im September.
Ok, im September, und wie denkt ihr, was kann getan werden, um diesen Konflikt und einen generellen gesellschaftlichen Wandel zu unterstützen?
B: Die Situation ist schwierig, das Problem groß und wir wissen nicht genau, was wirklich machbar ist. Bis zum Bau ist nicht mehr viel Zeit, wir versuchen aber trotzdem, Öffentlichkeit zu schaffen. Es gibt natürlich die Möglichkeit den Bau zu behindern oder anzugreifen, dann ist aber mit heftigen Repressionen zu rechnen und viele haben Angst, überhaupt aktiv zu werden.
A: Alle umliegenden Länder außer Russland, das es mit finanziert und baut, haben das Vorhaben für gefährlich erklärt und sagen, sie sind gegen dieses Kraftwerk. Doch Lukaschenko sagt, es wird gebaut. Dies ist eben eine weitere verrückte Idee in seinem Kopf. Es ist wichtig international Druck auszuüben, nicht nur von Regierungen, sondern von der Gesamtgesellschaft, beispielsweise in Polen oder Deutschland oder wo immer ihr euch befindet. Auch auf die internationale Atombehörde kann Druck ausgeübt werden, da sie die Idee der Atomkraft in allen möglichen Ländern verbreiten. Sie sagen, es sei eine gute Idee, solche ein Kraftwerk in Belarus zu haben und so weiter. Und es ist auch wichtig, Informationen über das was passiert, möglichst weit zu verbreiten.
B: Vielleicht versuchen wir den Menschen auch klar zu machen, dass wir bereits genügen Schulden in Belarus haben und diese durch das Kraftwerk noch steigen werden. Das wird sicher interessant sein, zu hören, denn bezahlen werden wir.
Eine Frage zu den Krediten. Sind sie aus anderen Ländern und aus welchen genau?
A: So weit ich weiß sind es etwa 9 Millionen Dollar aus der Russischen Föderation, es geht also um eine ganze Menge Geld für das Land.
B: Einige Menschen wollen nichts gegen das Kraftwerk tun, da sie hoffen, einen Job zu bekommen.
A: Wir hatten Diskussionen mit lokalen Anwohner*innen, die hoffen neue Jobs zu bekommen. Hauptsächlich werden diese aber an russische Expert*innen gehen, die hierfür eine spezielle Ausbildung haben.
B: Nur etwa 30% der Jobs werden an Arbeiter*innen aus der Region vergeben.
Vielleicht ist es noch interessant zu erfahren, dass gerade Ende 2010 Wahlen waren, in denen Lukaschenko wieder einmal gewonnen hat. Es gab einigen Protest und unsere Frage ist, wie sich die Gesellschaft danach entwickelt hat, was denkt ihr, was einfache Menschen im Land über die Situation und den Staat und die Zukunft denken?
B: Ich denke, dass vermutlich fast alle in Belarus wissen, dass es keine Wahl gab aber sie wollen nichts tun, sie sitzen nur da, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben. Das ist denke ich einer der Gründe, weshalb die Menschen nicht protestieren.
A: Also ich sehe schon eine Radikalisierung der Gesellschaft, die Menschen sind müde von all dem Mist rund um Lukaschenko. Die Menschen reden über Protest und einige sagen auch, es könnte eine Art ägyptischer Revolution in Belarus geben und das kommt nicht von Anarchist*innen oder anderen Aktivist*innen, sondern von einfachen Menschen. Und das passiert auch vor dem Hintergrund, dass alles teurer wird, die Wohnungen, das Essen und das Durchschnittseinkommen stagniert und die Regierung macht offensichtlich falsche Versprechungen. Nach den Wahlen gab es mehr Bewegung, die aber inzwischen wieder abgeflaut ist.
Vielleicht noch abschließend zur Antirepressionsarbeit, wie kann internationale Solidarität aussehen, was kann getan werden?
A: Am wichtigsten ist es, Informationen zu verbreiten, aber es ist auch möglich nach Belarus zu kommen und die Menschen hier kennenzulernen, denn viele der aktiven Leute hier fühlen sich isoliert und es ist toll, andere Anarchist*innen oder soziale Aktivist*innen kennenzulernen.
B: Ich denke, viele Menschen wissen so gut wie nichts über Belarus und es ist gut Menschen über die Lage aufzuklären und darüber zu schreiben.
Danke für das Interview.
Das Interview wird noch einmal vollständig in der „entfesselt“, dem Zeitungsprojekt von Anarchist Black Cross Orkan und Berlin veröffentlicht werden (http://www.abc-berlin.net/entfesselt)”