taz 13.12.10
Nach dem Mord an einem Fan von Spartak Moskau schließen sich
Fußball-Hooligans und rechte Schläger zusammen. Auf ihrer Hatz
verprügeln sie alle, die nicht slawisch aussehen. VON KLAUS-HELGE DONATH
MOSKAU taz | Die Lage in Moskau sei unter
Kontrolle, beruhigte Präsident Dmitri Medwedjew die Hauptstädter am
Montag. Krawalle hatten am Wochenende Moskaus Zentrum in einen
Kriegsschauplatz verwandelt. Rund 5.000 aufgebrachte Fußballfans und
Rechtsradikale lieferten sich am Samstag eine blutige Schlacht mit der
Polizei. Dutzende Verletzte mussten in Krankenhäuser eingeliefert
werden. Die öffentliche Kontrollbekundung des Kreml ist gewöhnlich ein
Zeichen dafür, dass die Staatsmacht überfordert ist.
Anlass der Massenschlägerei war eine
Gedenkveranstaltung der Fußballfans des Moskauer Klubs Spartak. Anfang
letzter Woche war der Spartakfan Jegor Swiridow in einer
Auseinandersetzung mit einem Emigranten aus dem Kaukasus erschossen
worden.
Der Verdächtige stammt aus der nordkaukasischen
Republik Kabardino-Balkarien und wurde wenig später von der Polizei
festgenommen. Die Mitverdächtigen indes setzten die Ordnungshüter auf
freien Fuß. Die Fans vermuten, dass diese die Polizei bestochen haben.
Die Demonstration auf dem Platz der Manege war
eine spontane Aktion der gut organisierten Fanklubszene, die enge
Kontakte zum breit gefächerten Spektrum nationalistischer und
rassistischer Gruppierungen unterhält. Genehmigt war sie nicht. Als
Hunderte von Demonstranten auf dem Platz eintrafen, standen nur drei
Polizeibusse in Bereitschaft – nicht mehr als an einem gewöhnlichen Tag.
Moskaus Ordnungshüter hätten jedoch gewarnt
sein müssen. Nach der Beerdigung Jegor Swiridows am Dienstag blockierten
mehrere hundert Fans eine Moskauer Hauptverkehrsstraße. Die Polizei war
machtlos und schaute nur zu. Am Sonnabend verlangten die Fans von den
Ermittlern, den Mord an ihrem Kumpel genau zu untersuchen. Der Druck der
aggressiven und angetrunkenen Masse veranlasste sogar den Moskauer
Polizeichef Wladimir Kolokolzew, vor dem pöbelnden Mob die Aufklärung
des Mordes persönlich zu geloben.
Zur Entspannung der Lage trug dies nicht bei.
Randalierende Jugendliche zogen daraufhin grölend durch die Innenstadt.
Wer nicht dem äußeren Bild eines Slawen entsprach, wurde verprügelt.
“Russland den Russen” und “Fürchtet euch!”, skandierte die Menge. Den
Bewohnern aus Russlands Süden versprachen sie “Deportation”. Stalin
hatte die Völker zuletzt 1944 aus dem Kaukasus zwangsumgesiedelt.
Als die Polizei die Masse aufforderte, durch
einen Sicherheitskordon in eine Metrostation zu gehen und sich
aufzulösen, antwortete diese mit “Wir sind die Sicherheit”. Wer
Augenzeuge wurde, dem leuchtete dies ein. In der ungesicherten
Metrostation setzte der Pöbel das Pogrom fort. Sobald sich Waggontüren
einfahrender Züge öffneten, sprangen Schläger mit dem Kampfruf “Wagen
für Weiße” hinein und verprügelten alle, die dem Bild des slawischen
Übermenschen nicht entsprachen.
Nach den Ausschreitungen im Zentrum setzte sich
die Hatz in den Moskauer Vororten fort. Gruppen von Jugendlichen fielen
über “Personen kaukasischer Nationalität” und “Gastarbeiter” aus
Zentralasien her. Ein Kirgise wurde erstochen, ein Aseri angeschossen
und ein Usbeke schwer verletzt. Für Mittwoch kündeten die
Rechtsradikalen an, sich vor dem Kiewer Bahnhof zu versammeln.
Die Atmosphäre in der Emigrantenszene ist
angespannt. Der Hass auf die russischen Bürger aus dem Kaukasus und
Zentralasien ist in Russland weit verbreitet. Die nationalistische
Politik in der Putin-Ära hat die Ablehnung alles Fremden jedoch erst
hoffähig gemacht. Pogrome gegen Georgier 2006 wurden vom Kreml
gesteuert. Dabei taten sich besonders die nationalistischen und
chauvinistischen Stoßtrupps der Kremljugend hervor, allen voran die
Organisation Naschi (die Unsrigen) und Molodaja Gwardija (Junge Garde).
Die vom Kreml großzügig finanzierten Gruppen
scheuten den Schulterschluss mit Skinheads und Fußball-Hooligans nicht.
Des Öfteren mischten rechtsradikale Schläger auch Demonstrationen der
Opposition auf oder bedrohten bekannte Menschenrechtler. Vor Gericht
konnte dies jedoch nie bewiesen werden. Auch ein Bekannter Wladimir
Putins unterstützt die Forderungen der Fanszene: der Chef des
Motorradclubs Night Wolves, Alexander Saldostanow. Er wolle sich im
eigenen Land nicht wie in der Diaspora fühlen, sagte er. Saldostanow saß
im Sommer zusammen mit dem Premier bei einem Bikertreffen auf demselben
Bock.