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Chimki Soli in Hamburg mit Offenem Brief

(Quelle: http://de.indymedia.org/2010/09/290704.shtml)

Zu Beginn einer Veranstaltung zum Thema “Ware Mensch – Ware Frau” der SPD Altona in der Werkstatt 3 übergaben heute “Freund_innen der Geiseln von Chimki” einen offenen Brief an den auf dem Podium vertretenen Vorsitzenden der “Delegation des Europäischen Parlaments im Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU-Russland”, den Hamburger Sozialdemokraten Knut Fleckenstein.

Die Aktivist_innen hatten vor Beginn der Veranstaltung freundlich gefragt und deutlich gemacht, das sie sich nicht einfach abwimmeln lassen werden und wurden spontan vor Beginn der Veranstaltung mit einem kurzen Redebeitrag zugelassen.

Die Aktivist_innen hatten ein Transparent mit der Aufschrift “Freiheit für die Geiseln von Chimki” dabei und stellten in einer mündlichen Erklärung vor dem Publikum dar, wie die russische Zivilgesellschaft im Fall Chimki von staatlichen Stellen gegängelt wurde: “Sie lehnten die Genehmigung von Protestaktionen ab, ließen ohne gesetzliche Grundlage Journalist_innen festnehmen und misshandeln. Unbekannte haben den Chefredakteur der lokalen kritischen Zeitung, “Chimkinskaja Prawda” Michail Beketow, zum Krüppel geschlagen und den Layouter einer anderen Oppositionszeitung, Sergej Protazanow, ermordet.”

Motivation für die Aktion war neben dem Erreichen von Öffentlichkeit für die Verhältnisse in Russland auch ganz konkret die Unterstützung zweier verhafteter Aktivisten: “Am 29. Juli wurden Aleksej Gaskarow und Maxim Solopow festgenommen. Sie treten seit Jahren in Medien und Öffentlichkeit als Sprecher der kritischen Bewegungen auf. Jetzt drohen ihnen bis zu 7 Jahren Haft, obwohl keinerlei Beweise für ihre Beteiligung an der vorgeworfenen “Organisation von Massenhooliganismus” vorliegen.”

Abschließend wurde noch einmal auf Rolle von Herrn Fleckenstein eingegangen: “Herr Fleckenstein, wir übergeben Ihnen ein offenes Brief, wo die kurz skizzierter Missstände ausführlicher dargestellt sind. Wenn sie zivillgesellschaftliche Initiativen in Russland unterstützen, beschäftigen Sie sich mit diesem Fall und überzeugen Sie Ihren Partner_innen in Russland davon, dass es nicht nur um ihre Profite und die Macht gehen kann.”

Abschließend wurde der offene Brief ans Publikum verteilt und Herr Fleckenstein sagte, das es sich nicht um einen Einzelfall handle, sondern Menschenrechtsverletzungen in Russland leider häufiger Thema seien und er in einem Treffen, das nächste Woche ohnehin mit Abgeordneten der russischen Duma stattfinden wird, das Thema anzusprechen. Wir sind gespannt, ob es eine Antwort von ihm geben wird. Mit sicherheit bleiben wir dran an den politischen und öffentlichen Weiterentwicklungen

Freiheit für die Geiseln von Chimki!

***

Hier noch einmal der vollständige Brief im Wortlaut, der übergeben wurde:

Offener Brief an Knut Fleckenstein

Hamburg, der 24.September 2010

Herr Fleckenstein,

Wir möchten mit diesem Brief Ihre Aufmerksamkeit auf die sehr alarmierende Situation der Unterdrückung der Zivillgesellschaft in Russland lenken.

Es geht uns um den Fall von Chimki bei Moskau. Sie kennen “Chimki” vielleicht schon aus den Medien. Wir möchten hier noch einmal darlegen, was für eine aktuelle Geschichte sich hinter diesem Wort versteckt.

Chimki ist eine kleine Nachbarstadt von Moskau. Seit einigen Jahren wird der Bau einer neuen Autobahn zwischen Moskau und St. Petersburg geplant. Das Bau wird größtenteils vom europäischen Konzern Vinci finanziert. Die Autobahn soll durch einen der letzten verbliebenen Wälder in der Nähe Moskaus, den Wald von Chimki, führen. Der Wald wird dabei wahrscheinlich komplett zerstört. Nicht, weil es keine andere Route und Möglichkeiten gibt, sondern weil es korrupten Interessen von Russlands hohen Beamten und der lokalen Regierung von Chimki entspricht. Für die Veränderung des Bauprojekts haben sich viele Organisationen, wie Greenpeace und WWF geäußert. Eine unabhängige Analyse von “Transparency International”2 weist klar auf die Korruptionsinteresse, die hinter denProjekt steht, hin. Die NGO “Bankwatch” und andere europäische Institutionen haben potenzielle Investoren des Projekts gewarnt, sich nicht an diesen zu beteiligen.

Seit 2007 gibt es Proteste einer Bürger_innen-Initiativen dagegen. Deren Aktivitäten werden mit enormer Brutalität unterbunden. So haben die Behörden im Chimki gemeinsam mit den Bauträgern mehr als einmal Gewalt gegen die Waldschützer_innen angewandt: Sie lehnten die Genehmigung von Protestaktionen ab, ließen ohne gesetzliche Grundlage Journalist_innen festnehmen und misshandeln. Unbekannte haben den Chefredakteur der lokalen kritischen Zeitung, “Chimkinskaja Prawda” Michail Beketow, zum Krüppel geschlagen und den Layouter einer anderen Oppositionszeitung, Sergej Protazanow, ermordet. Ende Juli dieses Sommers bekam die Auseinandersetzung eine neue Qualität. Die Rodung des Waldes wurde begonnen und die Waldschützer_innen haben ein Camp im Wald errichtet. Daraufhin engagierte die Baufirma Neonazi-Schläger zur Auflösung friedlicher Proteste von Umweltschützer_innen und lokaler Bevölkerung.

Öko-Aktivist_innen versuchten mehrmals die Administration der Stadt Chimki zu überzeugen, dass sie die Meinung der Menschen nicht dauernd ignorieren kann. Die Regierung hat alle Verhandlungsversuche sabotiert. Daraufhin haben am 28. Juli etwa 300 bis 400 Menschen vor allem aus dem antifaschistischen und linken Spektrum eine Spontandemonstration in der Stadt Chimki durchgeführt. Die Aktion erhielt in der Öffentlichkeit viel Zustimmung und Aufmerksamkeit. Das Problem kam dadurch in die Medien und wurde in ganzen Russland bekannt. Chimki ist in Russland zur Metapher geworden.

Zu einer Metapher, welche für die Entstehung aktiver Zivilgesellschaft steht, in der sich die Leute für ihre Rechte, für die Umwelt und für Aufklärung engagieren.

Chimki steht aber leider nicht nur für den Kampf, sondern auch für die brutale und wahllose Repression. Die Behörden nutzten die Aktion am 28. Juli als Anlass eine neue Verfolgungswelle gegen kritischen Aktivist_innen einzuleiten.

Am 29. Juli wurden Aleksej Gaskarow und Maxim Solopow festgenommen. Sie treten seit Jahren in Medien und Öffentlichkeit als Sprecher der kritischen Bewegungen auf. Wegen antifaschistischer Aktivitäten stehen Beide seit langem an der Spitze der Todeslisten auf extrem rechten Internet-Seiten. Jetzt drohen ihnen bis zu 7 Jahren Haft, obwohl keinerlei Beweise für ihre Beteiligung an der vorgeworfenen “Organisation von Massenhooliganismus” vorliegen. Das ist ein Vorzeigeprozess für alle, die versuchen sich in Russland zu engagieren.

Die Repression richtet sich aber nicht nur gegen Alexey und Maxim. Ein sogenanntes Extremismusbekämpfungszentrum der Polizei und die FSB verschleppen die Menschen, die durch Vorkontrollen und Massenfestnahmen auf politischen Veranstaltungen und sogar zufällig auf Listen geraten sind. Vor allem trifft die Repression diesmal die Antifaschist_innen und die Linke. Es handelt sich um Hunderte Fälle inMoskau und in der Moskauer Region. Mehrmals wurde von Folter und Misshandlungen berichtet.

So legten zum Beispiel A.W. Pachotin, E.F. Balujew und N.N.Tschernobajew ihre Aussagen unter physischem Druck seitens der zuständigen Ermittler ab. Nach der Vernehmung suchten sie um ärztliche Hilfe. Bei N.N. Tschernobajew, der vom Rettungsdienst ins Krankenhaus eingeliefert wurde, diagnostizierten die Ärzte ein geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma, eine Gehirnerschütterung, Prellungen und Hautabschürfungen im Gesicht.

Am 31. Juli wurden in Kupawna (Moskauer Gebiet) über 50 Personen unrechtmäßig verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. Am 21. August sprengten Angehörige der Miliz und der Polizeisondereinheit OMON des Moskauer Gebiets ein Wohltätigkeitskonzert in Zhukowskij (Moskauer Gebiet) und nahmen ohne rechtliche Grundlage etwa 70 Personen fest, mindestens 10 davon wurden körperlich misshandelt.

Am selben Tag sprengten Angehörige der Miliz, des FSB, des Zentrum “E” und der OMONein überregionales Festival in Kostroma, wobei durch den vorzeitigen Abzug der Security ein Konzertbesucher von einem Neonazi verletzt wurde. Über 260 Konzertbesucher wurden festgenommen, erkennungsdienstlich behandelt und geschlagen. Die Organisatorin des Konzerts erhielt Androhungen seitens Mitarbeiter des Zentrums “E” ein Strafverfahren gegen sie einzuleiten.

Einerseits versuchen die Behörden dadurch Falschaussagen gegen Alexey und Maxim zu erzwingen, weil sie keine Beweise haben. Andererseits ist dies ein Versuch, kritische Aktivist_innen und Öffentlichkeit zum schweigen zu bringen. Alexey und Maxim erscheinen somit wie Geiseln. Wir sind hier, um Öffentlichkeit für den Fall zu erreichen.

Alexey und Maxim sind seit Ende Juli in Untersuchungshaft. Nächster Montag, am 27. September ist ein Haftprüfungstermin. Für den 17.-20. September wurde zu internationalen Solidaritätstagen aufgerufen. Solidaritätsaktionen fanden in mehr als 30 Städten in verschiedenen Länder statt. Wir sehen uns auch als Teil der Kampagne für die Befreiung der Geiseln von Chimki.

Wir fordern die Freilassung der verhafteten Aktivisten und die Einstellung des Strafverfahrens sowie den Stopp der Repression gegen kritischer Bewegungen in Russland.

Herr Fleckenstein, Sie haben sich als der Vorsitzende der “Delegation des Europäischen Parlaments in den Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU-Russland” mehrmals für die Stärkung der Zivillgesellschaft in Russland geäußert. Sie sehen, wie schockierend die Situation heute in Moskau und der Moskauer Region ist.

In Ihrer Position haben Sie auch die Möglichkeit Einiges für die Betroffenen von willkürlicher und brutaler Repression zu tun. Wir hoffen, das Sie ähnlich wie wir, einsehen, dass ohne starken Zivillgesellschaft keine demokratischer Entwicklung in Russland möglich ist. Wenn sie dafür sind, zivillgesellschaftliche Initiativen in Russland zu unterstützen, dann ist dieser Fall einer, wo es genau darum geht und wo sie ihren Partner in Osten davon überzeugen können, dass es nicht nur um ihre Profite und die Macht gehen kann.

Wir empfehlen Ihnen die Webseite khimkibattle.org, wo Sie auch auf deutsch Informationen über die Situation um Chimki finden können.

Sie können beispielsweise durch die Verschickung von Protestschreiben an die Staatsanwaltschaft des Moskauer Gebietes, das Stadtgericht in Chimki und die Administration des Präsidenten der Russischen Föderation unterstützen. Vorlagen gibt es auf oben genanner Webseite.

Wir erwarten ein Antwort von Ihnen. Dafür können sie den Kontakt: *** nutzen. Wir werden den weiteren Verlauf der Geschehnisse verfolgen und uns um Pressearbeit und politische Präsenz bemühen.

Mit freundlichen Grüßen,
Freund_innen der Geiseln von Chimki aus Hamburg

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