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Mit harten Bandagen – Artikel zu Repression gegen Gewerkschaften in Polen

“Junge Welt”, 10.11.2009

Polen: Unter der konservativ-liberalen Regierung hat die Repression
gegen kämpferische Gewerkschaftsaktivisten eine neue Qualität erreicht

 

Polens Gewerkschafter müssen hart im Nehmen sein, wie Polizeikräfte
im südpolnischen Katowice am 22. Oktober erneut unter Beweis stellten.
Um 16.30 Uhr drangen Polizisten in das Hauptquartier der Gewerkschaft
»August 80« (WZZ Sierpien 80) ein, um wenig später deren Vorsitzenden
Boguslaw Zietek abzuführen. Die mehrstündige Festnahme des
Gewerkschafters erfolgte auf Weisung der Staatsanwaltschaft Wroclaw,
die Zietek angeblich im Rahmen von Ermittlungen gegen die Organisatoren
eines als »illegal« eingestuften Streiks beim Haushaltsgerätehersteller
FagorMastercook (siehe jW vom 29.7.2008) verhören wollte. Wie der
Journalist Dariusz Zalega kurz nach diesem Vorfall gegenüber jW
ausführte, handelte es sich bei dieser Begründung um einen bloßen
Vorwand, da die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen des am 2.
Juni 2008 durchgeführten Streik bereits Mitte dieses Jahres eingestellt
habe.

Man müsse diesen Polizeiübergriff in dem Kontext der zunehmenden
»antigewerkschaftlichen Hetze und der Bestrebungen zur Kriminalisierung
der Gewerkschaftsbewegung« in Polen sehen, so Zalega weiter. Immer
öfter tauchten Berichte über gekündigte Gewerkschafter auf, wie etwa
gerade bei FagorMastercook oder in der Kohlezeche »Szczyglowice«. Diese
Einschüchterungskampagne steht aber auch offensichtlich im Zusammenhang
mit den Massenentlassungen, die aufgrund des Werftensterbens in Polen
nicht nur die Küstenregion, sondern auch viele Zulieferbetriebe im
Landesinnern treffen. So erfolgte Zieteks Verhaftung nur einen Tag vor
den Protesten der Belegschaft der Cegielski-Werke in Poznan. Nachdem
die Werften in Szczecin und Gdynia auf Druck der EU-Kommission
geschlossen werden mußten, wurden nun auch 500 der 2500
Cegielski-Beschäftigten, die unter anderem Schiffsmotoren produzieren,
auf die Straße geworfen – weitere Entlassungswellen sollen folgen.

Die Stimmung bei den Protesten war aufgeheizt, es kam zu
Auseinandersetzungen zwischen anarchistischen Gewerkschaftern der
“Inicjatywa Pracownicza” (Arbeiterinitiative) und Polizeikräften vor
dem Gebäude der Wojewodschaftsverwaltung in Poznan. Der teilweise
hysterischen Berichterstattung über diese Auseinandersetzungen trat
Bogusla Zietek während eines Streitgesprächs im Fernsehsender TVN24
entgegen: »Ich weiß, daß sie die Tendenz aufweisen,
Gewerkschaftsdemonstrationen zu kriminalisieren«, erklärte der
Vorsitzende von »August 80«. Die Arbeiterinitiative kämpfe »effektiv«
für die Beschäftigten und habe ein Recht, an den Protesten teilzunehmen.

Neben »August 80« gehört auch die anarchosyndikalistische
Gewerkschaft »Arbeiterinitiative« (OZZ Inicjatywa Pracownicza) zu den
kleineren, kämpferischen Organisationen, die sich um eine Reanimierung
der radikalen polnischen Arbeiterbewegung bemühen. Auch die in den
Cegielski-Werken aktiven Gewerkschafter der »Arbeiterinitiative« sind
zunehmender Repression ausgesetzt. So verurteilte ein Berufungsgericht
in Poznan Anfang November den Betriebsratsvorsitzenden Marcel Szary zu
einer Geldstrafe, da er 2008 einen »illegalen Streik« organisiert haben
soll. Zudem wurden vier Gewerkschafter der »Arbeiterinitiative« im
Oktober illegal entlassen.

Die Ciegielski-Werke sind seit der Systemtransformation in Polen
bereits auf einen Bruchteil ihrer Größe geschrumpft. Von einstmals
25000 Beschäftigten werden nun vorerst noch 2000 Arbeiter in dem
traditionsreichen Betrieb ein Auskommen finden. Die Entwicklung dieser
Werke spiegelt auch den Niedergang der polnischen
Gewerkschaftsbewegung, die in den achtziger Jahren im Westen noch
frenetisch bejubelt wurde. Der Organisationsgrad der polnischen
Lohnabhängigen sank von 53 Prozent 1990 auf derzeit weniger als 15
Prozent.

Die in Polen dominierenden, von einem schleichenden
Mitgliederschwund gekennzeichneten Gewerkschaften sind die konservative
und strikt antikommunistische Solidarnosc mit 750000 Mitgliedern und
der sozialdemokratische Gesamtpolnische Gewerkschaftsverband OPZZ, der
rund 700000 Lohnabhängige vertritt. Beide gelten als opportunistisch
und konfliktscheu. Viele Arbeiter und Aktivisten kehren diesen eher an
einer »Sozialpartnerschaft« mit dem Management interessierten
Organisationen den Rücken. Teilweise gründen sie eigene Syndikate, wie
die polnischen Krankenschwestern, die sich mit ihrer
Branchenvereinigung OZZPiP vom OPZZ abspalteten. Dabei ist eine
Kooperation zwischen diesen kleineren Gewerkschaften nicht unüblich. Im
Juni 2007 suchten beispielsweise in der OZZPiP organisierte
Krankenschwestern die direkte Konfrontation mit dem damaligen
Regierungschef Jaroslaw Kaczynski, als sie über mehrere Wochen ein
Zeltlager vor dessen Kanzlei errichteten, um Lohnerhöhungen
durchzusetzen. Nach Polizeiübergriffen unterstützten auch Aktivisten
anderer Gewerkschaften, wie etwa »August 80«, die Krankenschwestern.

Dieser gewerkschaftsübergreifenden Solidarität habe die liberale
Regierung Polens den Krieg erklärt, so Dariusz Zalega: »In Krisenzeiten
benutzen die regierenden Liberalen immer öfter – nur in der Theorie
unabhängige – Gerichte, um die Arbeiter und Gewerkschaftsaktivisten
einzuschüchtern. Die Freiheit soll nur dem Kapital dienen, nie den
Arbeitern.«

Quelle: http://www.konicz.info/?p=979

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