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Antiziganistische Unruhen und Pogrome in Bulgarien: Wer steckt dahinter?

Kommentar: Der Artikel bezieht sich auf die Auseinandersetzungen und Übergriffe gegen Roma, über die ich bereits vor einigen Wochen geschrieben habe und enthält keine aktuellen Informationen, aber einige Infos v.a. zu Fußball und rechten Strukturen.

(Quelle: http://antizig.blogsport.de/2011/10/10/antiziganistische-unruhen-und-pogrome-in-bulgarien-wer-steckt-dahinter/)

In der Nacht vom 24. zum 25. September 2011 kam es in dem bulgarischen Dorf Katunitsa (2.400 Einwohner_innen) zu heftigen Ausschreitungen gegen Roma. Daran waren bis zu 3.000 Menschen beteiligt, also weitaus mehr als Katunitsa an Einwohner_innen hat. Die Medienberichte sprechen von bis zu 2.000 angereisten rechten Fußballhooligans aus der nahe gelegenen Stadt Plovdiv, der zweitgrößten Bulgariens. Drei Häuser einer Roma-Großfamilie wurden in einem Pogrom gestürmt und teils in Brand gesetzt, eines der Gebäude wurde dabei weitgehend zerstört. In den folgenden Tagen breiteten sich die rassistischen Unruhen auf mindestens 20 Orte in Bulgarien aus.

In den deutsch- und englischsprachigen Berichten ist übereinstimmend davon die Rede, dass der lokale Konflikt in der Nacht zum 25. September eskalierte als Hooligans aus Plovdiv intervenierten. Das soll aber keinesfalls den rassistischen Mob des Ortes entschuldigen, der einen sozialen Konflikt bzw. einen Autounfall bereits vor der Nacht zum Anlass für antiziganistische Proteste genommen hat. Keinesfalls lässt sich die schuld einfach zugereisten Rowdys allein zuschieben. Vielmehr muss wie bei den antiziganistischen Protesten im nördlichen Tschechien davon ausgegangen werden, dass die örtliche antiziganistisch eingestellte Bevölkerung und die angereisten Hooligans zusammengearbeitet haben bzw. die Lokalbevölkerung in hohem Maße mit den gewalttätig agierenden Hooligans sympathisiert hat.

Die nach Katunitsa gereisten Hooligans aus Plovdiv waren waren aber nicht einfach nur Rassisten, sie dürfen wohl auch zu einem großen Teil der Nazi-Subkultur zuzurechnen sein, wie ein Recherche ergab.

In Plovdiv gibt es zwei größere Fußballvereine, um die herum es mehrere Fan-Gruppierungen gibt, die der Kategorie Hooligans oder Ultras zuzuordnen sind.

Einer der beiden großen Fußballvereine von Plovdiv ist die „Lokomotive Plovdiv“. Bei „Lokomotive Plovdiv“ gibt es, wie bei vielen osteuropäischen Clubs mehre Gruppen.
Zu nennen wären:
* „Napoletani Ultras Plovdiv“
Über diese gibt es wenig öffentliches Material. In einem Interview stellen sie kurz ihre Aktivitäten dar. Es wird zwar über rechte Gruppen berichtet, sich aber nicht davon distanziert, eher Sympathien mit diesen geäußert. Sie selbst bezeichnen sich zwar als „unpolitisch“, waren aber für Spruchbänder wie „Europe Awake“ oder Turkey is not Europe“ verantwortlich.
Plavdiv - Turkey is not Europe
„Napoletani Ultras Plovdiv“ verfügen über gute Kontakte zu der Fan-Gruppierung „Fedayn“ aus Napoli in Italien. Der Name ist durchaus verbreitet in der italienischen Ultras-Szene1 und ist bei rechten und linken Gruppen sehr beliebt. Der Name bezieht sich positiv auf die „Fedayn“, eine palästinensischen Terror-Gruppe ab den 1930ern unter dem Befehl des Hitler-Kollaborateurs und Jersualemer Obermufti, Mohammed Amin al-Husseini (1893-1974). Die „Fedayin“ wurden zeitweise von den Nationalsozialisten mit Waffen unterstützt und zeichnen sich verantwortlich für antisemitische Morde. Der Kampf der „Fedayn“ gegen den Judenstaat bzw. den Zionismus findet offenbar Beifall bei rechten wie linken Israelhassern und Antisemit_innen.
* „Lauta Hools“
Die „Lauta Hools“ sind benannt nach dem Park in dem sich das Stadion von Loko Plovdiv befindet. Auch bekannt unter dem Namen „usual suspects“. Es handelt sich um eine typische „Causual“ Hooligangruppe, die weniger präsent im Stadion sind und mehr den Straßenkampf suchen. Es ist anzunehmen, das mit rechten Einstellungen sympathisiert wird, mindestens aber das eine solche problemlos geduldet wird. Gewalt scheint deutlich wichtiger zu sein als Politik, was sich auch an der Bildergalerie erkennen lässt.
* „Gott mit uns“
Die Gruppe „Gott mit uns“ ist sicher die rechteste aller Gruppen im Fan-Milieu von „Lokomotive Plovdiv“. Der Name ist ein alter Kriegsruf, der sich u.a. auch auf den Gürtelschnallen der deutschen Wehrmacht befand.
Gott mit uns (Wehrmacht)
Die Mitglieder dieser Gruppe fallen durch ihre besondere Vorliebe für Nazi-Symbolik auf. In Videos sieht man sie mit Keltenkreuz, Reichskriegsfahne, Hitlergruß oder Tatoos mit Hakenkreuzen.
Plovdiv - Gott mit uns a
Selbst das Logo der Gruppe beinhaltet einen Reichsadler.
Plovdiv - Gott mit uns b
Aufmerksamkeit erregten „Gott mit uns“ auch durch ihre Teilnahme an Krawallen beim Länderspiel Bulgarien gegen Italien. Auch hier tauchten viele Fahnen auf, in denen das Hakenkreuz lediglich mit einem Keltenkreuz ausgetauscht wurde. Ebenso beim letzten Derby gegen Botev.

Der zweite große Fußballverein von Plovdiv ist „Botev Plovidv“. Zu den organsierten Fangruppierungen gehören Gruppen wie „Bunta Sever”, “Centrum Crew”, “Brigada Trakia”, “Bultras Asenovgrad” oder “Sofia Club Botevista”. Die Übergruppierung “Bultras” ist nach eigener Aussage unpolitisch. In einem Interview antwortet ein Gruppen-Vertreter auf die Frage der Online-Plattoform “Hoolsworld” “H’W: What is the political view of your group?” mit “The politics doesn’t belong in the stadium.” Der Titel des Interviews, „Interview with Gestapo“ läßt an dieser Aussage allerdings ernsthafte Zweifel aufkommen.
Im Fanmilieu von „Botev Plovidv“ lässt s,ch auf den ersten Blick keine direkte NS-Verherrlichung ausmachen. Dennoch wird ein bulgarischer Nationalismus mit dem üblichen Schuss Regionalpatriotismus präsentiert.
Auch unter den Fans von „Botev Plovidv“ lassen sich auf Bildern Fans ausmachen, die der rechten Szene zuzuordnen sind.
Botev-Fans sollen auch bei den ersten Übergriffen gegen Roma am 24. September beteiligt gewesen sein und dabei rechte Lieder skandiert haben.

Bevor Antiziganismus im Stadion vorschnell in der Schublade „osteuropäische Verhältnisse“ abgelegt wird, sei daran erinnert das sich auch in bundesdeutschen Stadien der Schmähruf „Zick zack Zigeunerpack“ einiger Beliebtheit erfreut.

(Vielen Dank an B. für seine Recherchen bezüglich der Fan-Milieus in Plovdiv, die die Basis für diesen Text waren.)

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