Skip to content


(Belgrade Pride) ein Kommentar zu einem interessanten Blogartikel

Der Blogpost “Belgrad 2011: Schwuchteln in Mixern” von bomec hat mich sehr gefreut und ich hab auch gleich mal nen Kommentar hinterlassen.

Hier einige Auszuege aus dem Blogpost:

“Als Besucher, der das kyrillische Alphabet und die serbische Sprache nicht besonders gut beherrscht, habe ich zunächst Schwierigkeiten, die Graffitis und Plakate zu verstehen, die an den Mauern der Innenstadt zu sehen sind. Meine serbische Freundin hilft mir bei der Übersetzung. Es gibt Stencils in roter Runenschrift mit dem gereimten Zweizeiler ‘Beogradom krv ce liti, gej parada necu biti.’ (Blut wird durch Belgrad strömen, eine Gay Parade wird es nicht geben.) Auch die Organisation ‚Srpska Akcija’ plakatiert im Versmaß: ‘Omladine bez nade posao ceka, a rezim pedere Beogradom seta. Sad je dosta!‘ (Jugend ohne Hoffnung wartet auf Arbeit während das Regime Schwuchteln durch Belgrad ziehen lässt. Jetzt reicht’s!) An beinahe jeder Ecke sieht man ein Stencil, das nur aus zwei Worten besteht. ‚Cekamo vas’ (Wir warten auf euch). Und so weiter.”

Die benannten Aufkleber sind uns vor einigen Tagen in Belgrad ebenfalls aufgefallen.

“Die Drohkulisse steht. Und sie funktioniert. Auch bei mir. Bevor ich die Stencils und Plakate in der Innenstadt fotografiere, schaue ich mich vorsichtig um, ob ich beobachtet werde. Die Graffitis machen Angst. Es ist eine Angst, die ich selbst nur von hier kenne, obwohl ich weiß, dass sie in vielen Ländern der Welt existiert. Für mich war diese diffuse Angst hier immer präsent, aber ich konnte sie nie wirklich greifen. Zwei Jahre lang habe ich in Belgrad gelebt in einer schwulen Beziehung mit einem serbischen Mann. Zwei Jahre, die geprägt waren von dieser latenten Bedrohung, von den unzähligen Lügengeschichten, die wir permanent erfinden mussten, um nicht enttarnt zu werden von seiner Familie, den Nachbarn, Vermietern, seinen Arbeitskollegen und Bekannten. Wir haben uns der serbischen Vorstellung von ‚Normalität’ angepasst, spielten das Spielchen mit und wurden in Ruhe gelassen. Ich für die Dauer von zwei Jahren, er sein ganzes Leben lang.”

 

Mein Kommentar bezieht sich teilweise auf einen vorhergehenden Kommentar, den ich so nicht stehenlassen wollte:

“zum Balkan und Minderheiten

Vielen Dank bomec fuer den sehr persoenlichen und informativen Artikel.
Ich bin auch jahrelang immer wieder in Serbien und hab einige Situationen mit schwulen und lesbischen Freund_innen erlebt, die einfach zum Ausreissen sind (viele sind auch gegangen).
Ich halte es auch fuer einen schwarzen Tag fuer die Menschen in Serbien, teile auch die Einschaetzung, dass die Isolation der vor allem jungen Menschen zur Homophobie und all dem anderen Mist in der Gesellschaft beitraegt.
Allerdings ein “Balkan-Phaenomen” zu pauschalisieren, wie in einem der Kommentare und zu behaupten, dass “dieser Menschenschlag recht archaische Züge” traegt, ist traurig.
Sicher gibt es gerade viele faschistische Abgruende in der Region, wie auch in Bulgarien gegen die Roma, aber es ist das System, das die Menschen praegt, nicht der “Menschenschlag”. Es gibt zahlreiche soziale Unruhen in Serbien, viele Gruende als Mensch in dem Land nicht viel Perspektive zu sehen und das wird von Rechten geschickt kanalisiert, weil es kaum linke Gruppen oder Bewegungen gibt.
Die Kriege haben mit ihrem Militarismus Maennlichkeitsrollen gefestigt und nicht nur in Bezug auf Homophobie katastrophale Entwicklungen gefoerdert.
Die Institutionen und Polizei sind mit Kirche und faschistischen Gruppen eng verbunden und es ist offensichtlich, dass die serbische Regierung auf wirtschaftliche und machtpolisitische Vorteile schielt und nicht aus Zuneigung den Pride 2010 mit Polizeischutz stattfinden liess.
Auf der anderen Seite kann Druck durch die EU strategisch sinnvoll sein, sollte aber nicht den Eindruck erwecken, diese stuende fuer eine zivilisiertere, freiere Gesellschaft, die an den Lebensbedingungen der Menschen interessiert ist.
Dann wuerden in Deutschland nicht so viele Waffen hergestellt und exportiert werden, wuerden Fluechtlinge nicht verschaerft kriminalisiert und bekaempft werden, wuerde die Wirtschaftspolitik nicht auf der Ausbeutung von Menschen in Laendern wie China und Indien beruhen usw.
Ich denke, dass es immer die grosse Politik ist, die die miserablen Bedingungen schaffen und wirkliche Veraenderungen von den Menschen direkt kommen muss, nicht von irgendwelchen Regierungen oder Parlamenten.
Es ist leider so, dass viele Menschen im Westen den Eindruck haben, die anderen seien “Barbaren”.
Das erschreckende ist, es sind einfache Menschen, die diese Sticker verkleben, die menschenverachtende Sprueche bringen und andere krankenhausreif schlagen oder umbringen. Dies waere und ist mit Menschen aus dem Westen unter entsprechenden Umstaenden ebenso moeglich, in der deutschen Provinz ist es auch nicht ohne, z.B. als Typ mit Frauenkleidern rumzulaufen oder so.
Es gibt viele Gruende fuer die Situation in Belgrad und sicher ist es sinnvoll, auf vielen Ebenen dagegen vorzugehen. Eine Ebene ist eine oeffentliche Veranstaltung, die Menschen Mut gibt, die zeigt, dass es Menschen gibt, die nicht heterosexuell leben und dass dies kein “Import aus dem Westen ist”, wie haeufig von Rechten argumentiert wird.
Sicher gibt es gute Gruende, nicht an einer oeffentlichen Veranstaltung teilzunehmen und es ist strategisch zu sehen, was leistbar ist.
Aber lebensmuede ist es eher, sich von anderen seine lebensqualitaet nehmen zu lassen, sich zu verstecken und mutlos zu sein. und genau das ist es, was einige meiner freund_innen in belgrad und anderswo im balkan dazu bewegt, etwas zu riskieren, statt auf bessere zeiten zu hoffen. die werden sicher nicht von alleine kommen.
ich solidarisiere mich mit den menschen, die den mut haben fuer ihr leben zu kaempfen.”

Posted in balkan region, deutschsprachig.

Tagged with , , , , , , , , , .