Nach dem Nobordercamp in Bulgarien sind wir noch eine Weile im Balkan unterwegs.
Zur Zeit sind wir in Belgrad, demnächst geht es auf das antifaschistische Festival in Zrenjanin.
In Belgrad gibt es seit einiger Zeit eine Art soziales Zentrum, das allerdings nicht öffentlich beworben wird, sondern eher von Mund zu Mund mit Veranstaltungen und als Infoshop aber vor allem auch zum Abhängen und als sozialer Treffpunkt genutzt wird. Das ist ziemlich super, gerade auch, da es (meines Wissens) keinen öffentlichen anarchistischen oder emanzipatorisch-linken Treffpunkt in der Stadt gibt.
Die Ultras Babelsberg haben neulich ein interessantes Zine zur Situation von Fussball und Antifaarbeit im ehemaligen Jugoslawien herausgegeben, welches uns im Zentrum in die Hände fiehl, aber das gibt es leider nicht online als pdf, oder ich finde es zumindest nicht.
Heute gerade hat der serbische Minister, dem die Polizei untersteht und der der sozialistischen Partei Milosevic angehört den Medien mitgeteilt, dass eine Pride parade wie 2010 besser nicht ein weiteres mal stattfinden soll. Die eng mit Klerikalfaschisten verbundene Polizeigewerkschaft hat die Organisator_innen öffentlich dazu aufgefordert, die Pride 2011 nicht wie geplant am 2.Oktober stattfinden zu lassen. Interessanterweise wurde im letzten Jahr ähnlich Druck auf die Organisator_innen aufgebaut, indem kurz vor dem zugesicherten Datum plötzlich von staatlicher Seite die Durchführbarkeit in Frage gestellt wurde. Schon 2004 und 2009 war dies ein wesentlicher Grund, weshalb die Pride nicht stattfinden konnte – offiziell wurde die Gefährdung der Teilnehmer_innen angeführt und die staatliche Unterstützung für das Projekt verweigert.
Tatsächlich lässt sich eine Kontinuität in der Polizeiführung in Serbien feststellen, die in Kooperation mit kirchlichen, faschistischen und militaristischen Gruppierungen nicht erst in den Verstrickungen am Mord an Djindjic 2003 ihre Macht gezeigt haben (siehe die Beiträge der antimilitaristischen NGO “women in black” und den Beitrag der anarchosyndikalistischen ASI), sondern immer wieder an Korruption und Rechtsruck der Gesellschaft beteiligt ist. Die Mörder von Djindjic – sicherlich auch nur ein Politiker mit Machtinteressen wie Politiker von Berufs wegen – waren Polizisten. Bei der anstehenden neuen Runde ihrer Verhandlungen werden sicher auch Gelder und Gefälligkeiten sowie Druck ausgeteilt werden.
Bei den Verhaftungen des Kriegsverbrecher Mladic im Frühjahr 2011 zeigt sich, wie sehr die Gesellschaft in Serbien nationalistisch geprägt ist, aber auch an den Konflikten um den Kosovo, wie verhärtet die Fronten bleiben. Sicherlich sollte dies nicht allein der serbischen Seite zugeschoben werden, haben doch deutsche und österreichische Politiker in den 90ern massgeblich zur Eskalation der regionalen Konflikte beigetragen. Allerdings sollten die Konflikte um die Gay Pride nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Homophobie im Balkan betrachtet werden und schon gar nicht erwartet werden, das “Rechtstaatlichkeit” eine Lösung sei. Vielmehr ist der Staat und der Polizeiapparat offensichtlich ein wesentlicher Teil des Problems, eine Bastion der Feinde von libertären und emanzipativen Bewegungen ist, ob nun in neoliberaler Form der EU Sympatisant_innen oder der rückwärts gewandten monarchistisch-klerikalen Variante. Auch wenn die LGBT Pride in Belgrad unter den derzeitigen Umständen ohne Polizeischutz nicht vorstellbar ist, sollte dies keineswegs dazu verleiten, in diesen Strukturen emanzipative Elemente zu vermuten.
In einer kürzlichen Umfrage des Helsinki Komitees ergab sich, dass 60% der befragten Jugendlichen in Serbien leichte bis mittlere homophobe Einstellungen hätten, 70% werden als chauvinistisch gegenüber Roma eingestuft. Die Situation von Roma in Serbien bleibt angespannt, wie sich beispielhaft in Veröffentlichungen von Amnesty international zu Räumungen von Roma Siedlungen zeigt. Ein EU-Beitritt als Lockvogel für Liberalisierungen (vor allem im ökonomischen Sektor aber auch der westlichen Variante von “Zivilgesellschaft”) erscheint der Bevölkerung in Serbien verständlicherweise nicht als Realistisch und zusehends auch nicht wünschenswert (vgl: http://www.heise.de/tp/artikel/35/35248/1.html)
In Belgrad selbst ist die Pride nicht sichtbar, wenn es das Internet nicht gäbe, würde die Pride im positiven Sinne nicht sichtbar sein. Nur zahlreiche Graffitties gegen die Pride in der Stadt weisen darauf hin, das es ein solches Event in der Stadt gab oder gibt. Die Webseite der Pride ist zur Zeit nicht erreichbar, warum, weiss ich auch nicht. Die Gruppe Queerbeograd veröffentlichte vor einigen Monaten ein Buch über direkte Aktion, Antifaschismus und Queer-Festivals, das auch als pdf online erhältlich ist.
Sollte es den staatlichen Stellen gelingen, die Pride zu sabotieren wird dies die jüngsten Hoffnungsblicke erheblich dämpfen und die rechte Bewegung im Land stärken. Auch wenn die Pride letztes Jahr von Politikern genutzt wurde, denen es nur um Sympatien der EU und Machtinteressen ging, ist diese Demonstration eine politisch sehr Aufgeladene und Wichtige, bei der es um fundamentale Menschenrechte und Freiheiten geht, die alle anarchistischen und emanzipativen Linken als Grundlage ihrer Politik betrifft. Letztes Jahr hab ich auch einen kurzen Artikel zur Pride in Belgrad geschrieben, dieses Jahr kann ich möglicherweise direkt dabei sein, da ich Zeit habe.