Gegen diese Veranstaltung gab es zwei Aufrufe: Einer von Romainitiativen, der SZ (tschechische Grüne), der tschechischen Piratenpartei und weiteren Akteur_innen. Diese trafen sich gegen 11:00 Uhr am Parkplatz in der Straße U Hřiště. Der zweite Aufruf kam von Seiten der tschechischen Antifa, Treffpunkt war um 11:00 Uhr direkt am Masarykovo náměstí.
Wir, eine internationale Gruppe Antifaschist_innen benutzten den Bus der SZ um nach Nový Bydžov zu fahren. Nachdem wir gegen 9:00 Uhr aus Praha loskamen, erreichten wir nach gut neunzigminütiger Fahrt die Stadtgrenzen von Nový Bydžov. Auf dem Parkplatz eines örtlichen Supermarktes war eine Polizeikontrolle eingerichtet worden. Nach kurzer Rücksprache konnten wir zum angedachten Treffpunkt fahren.
Die örtliche Initiative hatte die Protestdemonstration zum zentralen Platz Masarykovo náměstí als religiöse Prozession angemeldet. Wir liefen mit etwa 200 Menschen vom Parkplatz durch die Straße Bratří Mádlů und wurden an der Kreuzung dieser Straße, an der die Straßen Havlíčkova, Družstevní und Karla IV. zusammenlaufen, von einem Aufgebot bestehend aus etwa 15 Uniformierten gestoppt. Die Anmelderin meinte, dass nun mit lokalen Vertreter_innen über den Fortgang der „Prozession“ verhandelt werden würde. Aus einem benachbarten Haus waren die ersten rassistischen Sprüche zu vernehmen, Bürger_innen gafften aus ihren Fenstern. Nachdem einige Menschen ein Gebet gesprochen hatten und weiter verhandelt wurde, setzte sich unsere Gruppe weiter in Bewegung und lief durch die Havlíčkova, Na Šarlejích und Revoluční třída in die Nähe des Masarykovo náměstí. In der Revoluční třída trafen wir auf die ersten Faschist_innen. Unsere Gruppe lief auf einem Gehweg, die Faschist_innen sammelten sich mit Kameras ausgestattet auf dem gegenüberliegenden. Dazwischen befand sich eine lockere Gruppe Uniformierter. Am Zielort angekommen standen wir etwa zehn Meter von den Faschist_innen entfernt und zeigten unsere Plakate. Auffällig war, dass diese „Prozession“ fast vollständig leise stattfand, auch von Seiten der Faschist_innen waren keine Sprechchöre zu vernehmen. Die Veranstalterin meinte nun, dass die „Prozession“ nun abgeschlossen wäre und sich alle Akteur_innen wieder zu ihren Ausgangsplätzen begeben sollten. Der Demonstrationszug setzte sich in Bewegung, außerdem schloss sich die Gruppe der Antifaschist_innen, welche zur Veranstaltung auf dem Masarykovo náměstí aufgerufen hatte, an. In der Straße Na Šarlejích wurde die Veranstaltung nun offiziell aufgelöst und einige Akteur_innen verließen die Veranstaltung. Etwa 350 Übriggebliebene entschlossen sich die geplante Demonstration der Faschist_innen in dieser Straße zu blockieren. Vor uns – in Richtung des Nazitreffpunktes – befand sich eine lockere Polizeikette, die ohne Probleme passiert werden konnte, auch hinter uns sammelten sich einige Einheiten, die sich jedoch am Rand aufhielten und Akteur_innen ungehindert passieren ließen. Nach ein paar Minuten (etwa 12:30 Uhr) setzte sich eine kleine Gruppe engagierter Akteur_innen auf die Straße, diese immer maximal acht Menschen, konnten die anderen leider nicht dazu bewegen es ihnen gleich zu tun. Anders als am 19.02.2011 in Dresden gab es vonseiten der Gegendemonstrant_innen leider auch keine gemeinsame Strategie als Klammer, so dass viele Menschen nicht wussten wie sie verfahren sollen. Ebenso verlief es bei der Polizei die mit etwa 100 Mitarbeiter_innen vor Ort war. Als wir uns auf die Straße setzten und alle in der Straße Na Širlejích verweilten, schienen diese kein Konzept zu haben, wie sie mit der Situation umgehen sollten. (Durch diese Inkompetenz hätte die spätere Räumung weit mehr Verletzte fordern können.) Dass sich Menschen einfach auf der Straße aufhalten und nicht vertreiben lassen, schien für einige der beteiligten Vertreter_innen der Staatsmacht in dieser ländlichen Region eine völlig neue Erfahrung zu sein. Während die Faschist_innen noch warteten gegen 13:00 Uhr loszulaufen, wurde mit Vertreter_innen der Administration verhandelt die DSSS-Demonstration entweder aufzulösen oder über eine andere Route zu führen. Da wir uns in einer sehr engen Straße mit nur zwei Ausgängen befanden, wäre es für die Uniformierten sehr einfach gewesen uns einfach einzukesseln und die Nazis eine Straße weiter um den Block zu führen. Damit hätte man sich vonseiten des Staates die spätere Gewaltorgie sparen können, auch wenn eine Kesselung mit unverhinderter Nazidemonstration natürlich nicht unser Ziel des Tages war. In unregelmäßigen Abständen wurde unser Sit- und Stand-In von Vertreter_innen des sogenannten Anti-Konflikt-Teams der Staatsmacht besucht, die uns überreden wollten die Straße zu räumen und meinten, dass ein weiteres Verweilen Konsequenzen hätte, da wir mit der Blockade gegen tschechische Gesetze verstießen. Wir diskutierten dann noch mit dem Team über Menschenrechte, die Aufstände von 1945, 1968 und natürlich 1989, aber sie meinten nur wir würden ja die Konsequenzen kennen. Da sich die vollständig behelmten Beamt_innen, alle mit einer individuellen Nummer gekennzeichnet, bis dahin sehr zurückhielten (von Veranstaltungen in der BRD kennt man ja die verbalen Provokationen und den lockersitzenden Finger am Reizstoffsprühgerät) dachten wir auch, dass eine eventuelle Räumung „verhältnismäßig“ ablaufen würde. Als die Nazidemonstration schon losgelaufen war, erschien der Chef der tschechischen Grünen Ondřej Liška und klinkte sich in die Verhandlungen ein. Er hielt eine Rede, dass die Nazidemonstration eventuell aufgelöst würde und wir zwei Möglichkeiten hätten. Entweder hier auszuharren mit dem Risiko geräumt zu werden, welches uns vertretbar schien oder etwas entfernt von der Route zu protestieren. Der überwiegende Teil der Aktivist_innen entschied sich auszuharren. Kurz darauf erschien die Ansage der Polizei, dass die Blockade nun geräumt würde. Wir hakten uns alle unter und dachten, dass diese Räumung von vorne anfangen würde, eventuell auch mit Pfeffersprayeinsatz. Kurz danach kam noch eine letzte Ansage und dann ritten zwei Mal vier Pferde auf uns zu. Vonseiten der Blockierer ging keinerlei Gewalt aus. In Panik ließen wir uns los und drängten an die Seiten. Einige Blockierer_innen wurden an der Seite festgesetzt und vom Rücken der Pferde mit langen Schlagstöcken niedergeschlagen. Außerdem wurden Schockgranaten, welche mit einer Sequenz mehrerer sehr lauter Detonationen eingesetzt. Ich konnte mich mit einem Sprung über einen niedrigen Zaun, der gerade sich gerade an diesen 50 Metern der Straße befand in einen Schulhof retten, musste aber wieder heraus, da dieser keinen Ausgang hatte und ich weder von Tränengas noch von den Nazis getroffen werden wollte. Viele andere agierten ebenso. Ohne diesen Überlauf hätte es vermutlich auch mehr Verletzte gegeben. Ich fühlte mich an Szenen aus historischen Filmen über niedergeschlagene Aufstände in Indien zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft erinnert. Es war schockierend und beängstigend. Die eingesetzten Kräfte, welche zu Fuß waren schoben die Menschen ebenfalls aus der Straße, setzten glücklicherweise jedoch keine Schlagstöcke ein. Ich lief dann unbehelligt aus der Straße Na Širlejích zur Kreuzung Havlíčkova, Družstevní, Karla IV., Bratří Mádlů. Dort traf ich auch wieder auf meine Bezugsgruppe, zu konstatieren waren Schlagstockverletzungen an Köpfen und Hälsen sowie eine zerbrochene Brille und ein verlorenes Plakat. Aus Gesprächen mit tschechischen Aktivist_innen erfuhr ich, dass solche brutalen Einsätze auch in der Tschechischen Republik nicht üblich sind und in dieser Form auch nicht gerechtfertigt.
Wir konnten dann aus etwa 50 Metern Entfernung sehen, wie die Faschist_innen der DSSS und viele Bürger_innen aus Nový Bydžov die Kreuzung Na Šarlejích, Havlíčkova passierten und ihre menschenverachtenden Sprüche skandierten. Zwischen uns stand eine Kette aus einigen Uniformierten und die vorher erwähnten acht Polizeipferde samt Reiter_innen.
Nachdem die DSSS-Demonstration vorbeigezogen war, erfuhren wir, dass vier Antifaschist_innen verhaftet worden wären und zogen im Rahmen einer spontanen Solidaritätskundgebung zur örtlichen Polizeiwache. Unterwegs trafen wir auf eine Gruppe Faschist_innen, die von der Polizei abgedrängt wurde. Uns sollte dann auch keine Passage gewährt werden und die Uniformierten sperrten die Straße von Verkehrsgitter zu Verkehrsgitter ab. Spontan und vollkommen unbehelligt kletterten die Antifaschist_innen dann neben der Staatsmacht über das Eckengitter (eine Situation die in der BRD wahrscheinlich undenkbar wäre) und liefen zur Polizeiwache.
Danach wurden wir von der Polizei als Schutz vor den Nazis zum Bus eskortiert. Den meisten Beteiligten konnte angemerkt werden, dass ein Tag voll psychischem und physischem Stress hinter ihnen lag.
Fazit:
Die Aktion war keinesfalls erfolgreich. Die Faschist_innen konnten ihre geplante Demonstration vollständig abhalten. Mit Demonstrationserfahrung aus der BRD fand ich das Verhalten der eingesetzten Polizei sehr ambivalent. Einerseits wurde auf die üblichen Provokationen vollständig verzichtet und wenn es nötig war Schutz vor den Faschist_innen gewährt. Andererseits wurde dafür umso brutaler eine absolut friedliche Blockade geräumt. Dass es nur zu sieben registrierten (abgesehen von den vielen unregistrierten Schlagstockprellungen) Verletzten (darunter ein gebrochener Fuß) nach dem Einsatz der Reiter_innen in dieser engen Straße kam ist ein sehr glücklicher Umstand und der schnellen Reaktion der Blockierer_innen und der Möglichkeit temporär über den niedrigen Zaun zu flüchten zu verdanken.
Es kann konstatiert werden, dass eine bessere Organisation im Vorfeld und eventuelle Demonstrationstrainings künftige Blockaden erfolgreicher verlaufen lassen könnten.