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In der Ukraine versinkt der Präsidentschaftswahlkampf in einer Schlammschlacht

(Quelle: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31417/1.html )

Dreckiger Wahlkampf

Thomas Dudek 01.11.2009

In der Ukraine versinkt der Präsidentschaftswahlkampf in einer Schlammschlacht

Am 19. Oktober begann in der Ukraine offiziell der
Präsidentschaftswahlkampf, dessen inoffizieller Startschuss jedoch
bereits vor einem Jahr fiel. Seit dem endgültigen Bruch zwischen
Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und dem Präsidenten Viktor
Juschtschenko im September vergangenen Jahres liefern sich die
einstigen Orangenen Koalitionäre einen gnadenlosen Machtkampf. Doch
laut neuester Umfragen ist der aussichtsreichste Kandidat für das Amt
des Präsidenten, der am 17. Januar gewählt wird, Viktor Janukowitsch.
Dieser muss sich aber gegen einen Vergewaltigungsvorwurf erwehren,
nachdem einem Mitglied der Timoschenko-Partei BJuT Kindesmissbrauch
vorgeworfen wurde. Ein Indiz dafür, dass in den nächsten Monaten der
Kampf um das höchste Amt in der Ukraine an Brisanz gewinnen wird und
dabei inhaltliche Themen nicht unbedingt im Vordergrund stehen dürften.   

Aus ihren Ambitionen macht Julia Timoschenko
kein Geheimnis. Am 17. Januar, dem Tag der Präsidentschaftswahlen, will
die Regierungschefin an die Spitze des flächenmäßig zweitgrößten
Staates Europas gelangen. Und dies scheinbar mit Gottes Hilfe. Noch
wenige Tage bevor am 19. Oktober der offizielle Startschuss für den
Präsidentschaftswahlkampf in der Ukraine fiel, reiste die 48-Jährige
schnell in die Zentren des Christentums. Am 16. Oktober wurde sie im
Vatikan vonPapst Benedikt XVI empfangen, tags darauf legte sie in Jerusalem,
wie es sich ihrer Meinung nach für einen "gläubigen
christlich-orthodoxen Mensch" gehört, ihre Beichte ab, empfing die
Kommunion und betete nicht nur für sich, sondern auch für eine bessere
Zukunft der Ukraine, was die Kirche honorierte. Der Jerusalemer
Patriarch Theophil III zeichnete die ukrainische Regierungschefin für
ihre Verdienste um die Einheit der orthodoxen Kirche aus.

Doch mit ihren frommen Auftritten sorgte die Gasprinzessin, die am
vergangen Wochenende offiziell zur Präsidentschaftskandidatin gekürt
wurde und dafür auf den Majdan, dem zentralen Platz der Orangenen
Revolution im Herzen Kiews, zurückkehrte, für keine positiven
Schlagzeilen. Ebenso wenig wie ihr schärfster Konkurrent ViktorJanukowitsch,
der schon seit Monaten Wahlkampfsauftritte absolviert. Doch weder mit
seiner Drohung, zukünftig gegen falsche historische Darstellungen des
"Großen Vaterländischen Krieges" vorgehen zu wollen, noch mit seiner offiziellenNominierung zum Präsidentschaftskandidaten durch seine Partei der Regionen am vorletzten Freitag, schaffte es Janukowitsch langfristig in die Hauptnachrichten ukrainischer Medien.

Stattdessen sorgte vergangene Woche die Vergangenheit des
Ex-Ministerpräsidenten mal wieder für Schlagzeilen. Angeblich soll er
in den 70er Jahren gemeinsam mit mehreren Freunden in der Stadt
Jeniakewo eine Frau geschlagen und vergewaltigt haben. Dies behauptet
jedenfalls seit vergangener Woche Sergij Sobolew, Politiker der
Timoschenko-Partei BJuT,
und spielt damit auf die Jugendzeit Janukowitsch an. Bereits im
Wahlkampf 2004 machten die Orangenen Revolutionäre die Jugend des
Kutschma-Zöglings zum Thema, der zum ersten Mal 1967 wegen Diebstahl
und zum zweiten Mal 1970 wegen Körperverletzung zu mehrjährigen
Haftstrafen verurteilt wurde. Dier Vorstrafen wurden jedoch 1978 vom Donezker Oblastgericht gestrichen.

Mit den neuerlichen Vergewaltigungsvorwürfen will das Timoschenko-Lager
Janukowitsch aber nicht nur diskreditieren. Vielmehr sollen die
Behauptungen von einem Skandal ablenken, der die Ukraine schockiert und
in den mindestens ein BJuT-Politiker verwickelt ist.

Am 13. Oktober machte der Parlamentsabgeordnete Wadim Kolesnitschenko
von der Partei der Regionen publik, dass in dem Ferienheim Artek auf
der Halbinsel Krim Kinder von mindestens zwei ranghohen Beamten sexuell
missbraucht wurden. "Die Mutter von zwei in Artek vergewaltigten
Kindern wandte sich an mich. Wir haben die Fakten überprüft und diese
Fakten haben sich leider bestätigt. Heute tun wir alles, damit die
ranghohen Täter der Verantwortung nicht entgehen", sagte
er damals. Und obwohl der Politiker keine Namen nannte, löste er damit
einen Skandal aus, in dem bedauerlicherweise aber nicht die Opfer
beziehungsweise die Aufklärung des Falls im Vordergrund stehen, sondern
die sich im Wahlkampf befindende ukrainische Politik. Denn noch am 13.
Oktober wurde bekannt, dass auch ein Parlamentsabgeordneter des Blocks
Julia Timoschenko zu den Tätern gehören soll.

Die Information löste innerhalb kürzester Zeit in der Kiewer Politik
eine Lawine aus. Innenminister Juri Luzenko, der im Mai im
alkoholisierten Zustand auf dem Frankfurter Flughafen randalierthaben soll,
gab einen Tag später zu, dass die Staatsanwaltschaft bereits seit April
gegen einen Mann ermittelt, dessen Adoptivkinder das Feriencamp besucht
hätten. Der Adoptivvater soll gemeinsam mit weiteren Personen die
Kinder in eine Wohnung gebracht und dort missbraucht haben.

Die Namen der weiteren Personen, die die Kinder in dem Ferienheim Artek
missbrauchten, das zu Sowjetzeiten ein sozialistisches Vorzeigeprojekt
war und seit Januar dieses Jahres zu einem Vorbereitungszentrum für
Hochleistungssportler umfunktioniert
wurde, drangen auch ziemlich schnell in die Öffentlichkeit. So sollen
der orthodoxe Priester Vadym Pajewskij, der wegen Kindesmissbrauch
angeblich schon in Russland gesucht wird, so wie der BJuT-Abgeordnete
Viktor Ukolow zuden Tätern gehören. Der Verdacht könnte den Ambitionen der ehrgeizigen Julia Timoschenko schaden.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich auch BJuT-Politiker
ziemlich schnell zu dem Fall äußerten. So behauptete Grigorij
Omeltschenko, ebenfalls von der Mutter der vergewaltigten Kinder über
den Fall informiert worden zu sein, und forderte den Präsidenten Viktor
Juschtschenko auf, die Ermittlungen zu kontrollieren. Mit dem Ergebnis,
dass sich heute neben der Staatsanwaltschaft und dem Innenminister auch
ein Untersuchungsausschuss der Werchowna Rada mit dem Fall Artek beschäftigt.

Doch inwieweit diese Ermittlungen zur Aufklärung des Falls beitragen,
ist fraglich. "Die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich auf den
Skandalfall, doch die Mehrheit der Beobachter lässt sich dabei nicht
von der Liebe zur Wahrheit oder dem Mitgefühl zu den geschädigten
Kindern leiten, sondern von der Feindseligkeit zum Block Julia
Timoschenko oder der Partei der Regionen", kommentierte
(http://pravda.com.ua/news/2009/10/20/103659.htm) treffend Michail
Dubinjanskij in der Internetzeitung Ukrainska Pravda. Eine Kritik, die
sich nicht nur an die Politik richtet, sondern auch an die Presse.
Nicht einmal die ukrainischen Medien waren bisher ein Gegengewicht zu
den von politischen Eigeninteressen geleiteten Aufklärungsversuchen der
Politik.

Doch nicht nur die privaten Verfehlungen ukrainischer
Politiker sind ein Thema in diesem Wahlkampf. Hoffnungen auf eine
Wiederwahl macht sich immer noch der amtierende PräsidentViktor Juschtschenko, auch wenn die aktuellen Umfrageergebnisse gegen ihn sprechen. Wie im Oktober durchgeführte Untersuchungen
ergaben, wollen gerade mal 3 Prozent der Ukrainer für Juschtschenko
stimmen, während die Meinungsforschungsinstitute Julia Timoschenko ein
Ergebnis zwischen 17-18 Prozent vorhersagen und Viktor Janukowitsch
zwischen 23 und 27 Prozent. Dennoch gibt sich der noch amtierende
Präsident nicht geschlagen.

Seit Monaten liefert er sich einen gandenlosen Machtkampf mit seiner
einstigen Verbündeten Julia Timoschenko, in dem es vor allem um Geld
geht. So blockierte er die Investitionen für die Fußballeuropameisterschaft 2012,
die das Land gemeinsam mit Polen austrägt, mit dem Ergebnis, dass die
UEFA bisher nur Kiew unter Vorbehalten als Austragungsort bestätigt
hat. Eine Praxis, die Juschtschenko auch bei anderen Haushaltsthemen
wiederholte und dies neuerdings auch bei der Bezahlung russischer
Gaslieferungen tut. Dies erklärte
am Freitag jedenfalls der russische Ministerpräsident Wladimir Putin
auf einer Sitzung der Partei Geeintes Russland und berief sich dabei
auf seine ukrainische Amtskollegin Timoschenko.

Doch egal ob Kindermissbrauch, Vergewaltigungsvorwürfe und
Streitigkeiten um den Staatshaushalt. Es sind Themen, die die Ukrainer
zwar bewegen, aber nichts mit deren Alttagsleben und Problemen zu tun
haben. "Schon der Gasstreit mit Russland war in der Ukraine kein
wichtiges Thema. Was die Menschen vielmehr beschäftigt, ist der
wirtschaftliche Niedergang des Landes, von dem sie wegen der Inflation
selbst betroffen sind", erklärt der in Deutschland bekannteste
ukrainische Schriftsteller JurijAndruchowytsch
gegenüber Telepolis. Für die Situation machen die Ukrainer die
Politiker verantwortlich, die aber jede Schuld von sich weisen und
stattdessen mit ständigen Machtkämpfen beschäftigt sind. Mit einem
erschreckenden Ergebnis. "Die Jugend ist heute apolitisch. Ganz im
Gegensatz zu 2004. Damals war die Jugend die treibende
Revolutionskraft", sagt Andruchowytsch.

Doch die Hoffnung auf die Jugend hat der Schriftsteller nicht
aufgegeben. Vielmehr glaubt er, dass erst durch einen
Generationswechsel sich die politische Situation in der Ukraine
verbessern wird. Wann dieser Generationswechsel jedoch stattfindet,
lässt sich momentan nicht vorhersagen. Doch lange wollen manche auf
diesen Generationswechsel nicht mehr warten. Als Reaktion auf den
Artek-Skandal werden in der Ukraine die Stimmen, die Veränderungen im
Wahlgesetz fordern, immer lauter.

Die ukrainischen Spitzenpolitiker scheint das anscheinend aber nicht zu
beunruhigen. Anstatt mit Wahlprogrammen wollen sie sich weiterhin mit
Schlammschlachten und ergebnislosen Aktionismus im Wahlkampf
positionieren. Und ein neues Thema für ihren Wahlkampf haben die
Politiker auch schon gefunden: die Schweinegrippe, deren Opferzahl in
den letzten Wochen enorm anstieg.

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