Heute fand zum achten mal eine LGBTIQ (lesbischschwulbitransintersexuellqueer) Pride Parade in Zagreb, der Hauptstadt von Kroatien mit etwa fuenfhundert Teilnehmer_innen statt. Im Vorfeld haben die Organisator_innen bereits in ihrem Aufruf deutlich gemacht, dass die oeffentliche Praesenz besonders wichtig ist, um selbstbestimmte Lebensweisen jenseits der Heteronormalitaet durchsetzen zu koennen:
"Pride-Events dienen zum öffentlichen Versammeln von Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, transsexuell und intersexuell (LGBTIQ) begreifen. Und so ein Treffen von äußerst politischer und sozialer Wichtigkeit darstellt. Eure Präsenz würde die LGBTIQ Community in Südosteuropa bestärken, für unsere Rechte zu kämpfen und einen starken Einfluss auf kroatische Institutionen, politische Organisationen und die Öffentlichkeit haben, Rechte von LGBTIQ Menschen zu untestützen und zu befürworten."
( Uebersetzung, Original: www.zagreb-pride.net )
Die Pride in diesem Jahr war aus zwei Gruenden eine Besondere. Zum einen jaehrt sich der Aufstand von Stonewall im Jahr 2009 zum 40.mal. Zum anderen gab es dieses Jahr das erste mal eine angemeldete legale "Anti-Pride" Demonstration, die von diversen kleinen kroatischen faschistischen und nationalistischen Gruppen und Parteien ins Leben gerufen wurde.
Nachdem es die letzten Jahre immer wieder zu brutalen Uebergriffen auf Teilnehmer_innen der Pride kam und letztes Jahr nur knapp ein Angriff mit einem Molotov-Cocktail auf die Pride durch die Polizei verhindert werden konnte, war die Stimmung vor der Pride hier lokal ziemlich angespannt. Die Route der Pride sollte heute an dem Gegenprotest vorbeifuehren und es wurden beim Auftakt der Pride bereits Flugblaetter verteilt, auf denen stand, dass wir uns nicht provozieren lassen sollen und die Stimmung besser nicht anheizen, wenn wir den Platz (Trg bana Jelačića) passieren. Der Auftakt Platz (Trg Marshala Titova) in Zagreb war von Polizeieinheiten und einer Privaten Sicherheitsfirma rundum gesichert, so dass Angriffe durch groessere Gruppen schnell bemerkt und zurueckgeschlagen werden koennten. Eine traurige Realitaet, die mir gegenueber auch einer der Organisator_innen vor einiger Zeit bereits mitteilte, ist, dass die Pride ohne diesen massiven Bullen-Schutz nicht stattfinden koennte. Ein merkwuerdiges Gefuehl, sich auf Cops verlassen zu sollen, die als staatliche Gewalt nunmal strukturell gegen anarchistische Bewegung agiert.
Wir bewegten uns darauf im gepanzerten Polizeikessel mit Luftballons und bunten Schildern durch die kleinen Strassen der Innenstadt und erreichten den Ort der Gegenkundgebung (Trg bana Jelačića), wo mir etwas mulmig wurde. Vorneweg gab es einen Cop, der einen Feuerloescher mit Pfefferspray fuer den Fall der Faelle umgeschnallt hatte. Neben mir taenzelte ein maennlicher Aktivist in weiblicher Militaeruniform, langen Stiefeln und Unterhose selbstbewusst mit der Regenbogenfahne. Wenige Menschen waren wirklich "dressed up". Vor allem Maenner wirkten meist eher vorsichtig und es gab auch eine antifaschistische Gruppe mit einem Banner und Flaggen, auf denen "Tod dem Faschismus" stand sowie Politiker_innen der gruenen Partei, die allesamt nicht aussahen, wie ich es von westlichen CSD / Pride Demonstrationen kenne, eher zurueckhaltender.
Der Pride in Zagreb ist ein eher politisches Event. Das wurde auch deutlich, als zu Beginn der Demonstration die angereisten Unterstuetzer_innen-Gruppen per Megafon begruesst wurden. LGBTIQ Aktivist_innen aus Belgrad mit einem Banner "Wir sehen uns in Belgrad" spielten darauf an, dass sie sich nicht laenger durch die Gewalt der Strasse abhalten lassen wollen, auch wieder einen Pride in Belgrad abhalten zu koennen. (siehe zum Thema Belgrad Pride z.B. auch: http://www.amnesty.at/lgbt/archiv/standing%20up.htm ) Ausserdem waren Menschen aus Bosnien vertreten, die ebenfalls einen weitaus schwereren Stand vor Ort haben. Wie mir eine Aktivistin erzaehlte, wurde das Queer Sarajevo Fest letztes Jahr vorzeitig abgebrochen, weil unter anderem religioese Fundamentalist_innen ein solches Bedrohungsszenario aufbauten, dass es den Organisator_innen dieses ersten Events zu sexueller Orientierung und Queer-Sein im weitesten Sinne in der bosnischen Geschichte zu riskant erschien, fortzufahren (siehe auch: http://eng.queerbeograd.org/index.php?option=com_content&task=view&id=57&Itemid=1 ) Die Zagreb Pride wird somit zu einem Ort, an dem Menschen aus den verschiedenen Kriegsregionen Ex-Jugoslawiens (und darueber hinaus) zusammenkommen und sich als Community nicht nur gegen Homophobie und Transphobie stellen, sondern auch andere Themen wie Antirassismus und Feminismus ansprechen und problematisieren. Was mich heute etwas gestoert hat war der sicherlich auch als Provokation gedachte Bezug zur Nation. Einerseits gab es eine albanische Fahne, die mitgetragen wurde, andererseits wurde davon gesprochen, dass "auch wir Kroatien sind". Das mag sicher richtig sein, auch dass es LGBTIQ People in Albanien gibt und diese keinen Raum haben in der Oeffentlichkeit und dies durch das Tragen der Flagge thematisiert wird, aber dennoch wirkt das auf mich eher nationalistisch und damit wieder auf anderen Ebenen ausgrenzend.
Als wir also den Platz in der Innenstadt erreichten, erwartete uns bereits eine Menge von aufgebrachten homophoben Faschistinnen und Faschisten, die neben Nationalfahnen auch Schilder mit "Zagreb Pride – die Schande meiner Stadt", "Kroatien hat immer weniger Kinder" oder "Heute Homosexuelle, morgen Kinderschaender" wedelten und durch Cops in voller Montur von uns ferngehalten wurden. Einige liessen es sich dennoch nicht nehmen, sich mit den Cops anzulegen, etwa 30 Personen, wie die Zeitung hier schreibt. Die Masse war aber groesser, brachte dumme Sprueche und poebelte uns durch die Bullenkette hindurch an. Aber zu erwarteten Zwischenfaellen kam es nicht.Heute abend fand ebenfalls ein Konzert der bekannte serbischen Saengerin Lepa Brena statt, so dass die Nationalist_innen und Faschist_innen doppelt "Grund" zum protestieren hatten. Auch gegen diesen Auftrtt fand demnach ein Protest mit beinahe den gleichen Spruechen statt (z.B. "Lepa Brena – die Schande meiner Stadt")
Der gefaehrlichere Teil der Zagreb Pride sollte noch folgen, so wie die letzten Jahre. Denn als wir uns am Abschlussplatz sammelten und neben ein paar Reden auch Musik gespielt wurde und wir ausgelassen tanzen konnten, sickerten schon die Infos durch, dass kleine Gruppen von Faschist_innen in den Strassen lauern, um Leute abzugreifen und zu verdreschen. Das ist letztes Jahr auch passiert, einige Leute wurden ziemlich zusammengeschlagen. Heute kam es ebenfalls zu mindestens einem Schwerverletzten, der auf dem Weg nach Hause aufgelauert wurde. Ihm wurde unter anderem die Nase zerschlagen. Von weiteren Uebergriffen ist mir zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt.
Die "Space invaders against homophobia" Aufkleber von der Rosa Antifa Wien, die ich mit dabei hatte, sind uebrigends sehr gut weggekommen auf der Demo 😉
Erstaunlich fand ich die geringe internationale Beteiligung, dafuer das die Mobilisierung komplett auch auf englisch lief und Zagreb nah an Wien und anderen Metropolen liegt.
Es gibt einige Bilder der Zagreb Pride und der Faschist_innen sowie einen kroatischen Artikel hier:
http://www.index.hr/vijesti/clanak/trojica-antigay-nasilnika-pretukla-27godisnjaka-privedeno-petero-izgrednika/437746.aspx
Ein Videoclip zum heutigen Tag findet sich hier:
http://www.youtube.com/watch?v=Y6hVu_1UgZ8
Ein aelterer Artikel von mir zum Thema "Sexuelle Orientierung und Öffentlichkeit in Südosteuropa":
http://a3yo.noblogs.org/post/2009/05/27/sexuelle-orientierung-und-ffentlichkeit-in-s-dosteuropa